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No hay moneda

Nachdem wir uns letzte Nacht bestens amüsiert hatten und erst sehr früh am Morgen im Bett waren, mussten wir zuerst etwas Schlaf nachholen. Irgendwann am Nachmittag sind wir dann wieder wach geworden und bummelten in den bereits fortgeschrittenen Tag. Wenig später meldete sich auch schon der Hunger zu Wort und so bin ich in den nächsten Supermarkt, um ein paar Dinge zu besorgen.

Nach besten Wissen und Gewissen

So richtig volle Supermärkte habe ich hier eigentlich nie erlebt. Dank der langen Öffnungszeiten verteilt sich alles sehr gut über den Tag. Man sollte aber trotzdem nicht glauben, dass sowas banales wie Einkaufen schnell erledigt ist. Selbst bei nur drei Leuten vor einem an der Kasse kann man schon mal bis zu 15 Minuten anstehen und warten. Hier hat es niemand wirklich eilig und auch ein Schwätzchen an der Kasse, während die anderen geduldig in der Schlange warten, ist nichts Ungewöhnliches. Wesentlich mehr Zeit aber wird durch den permanenten Mangel an Münzgeld vernichtet. Die ständige Suche nach Münzen ist nicht nur anstrengend, sondern auch mächtig absurd. Die Frage nach Kleingeld wird wohl zu den am häufigsten gestellten Fragen in Argentinien gehören. Im Stadtbild sieht man überall Schilder wie „No hay moneda!“ — zu Deutsch „Wir haben kein Kleingeld!“ — in Shops und Kiosken gehören sie fast schon zum guten Ton. Münzen rückt man hier nur raus, wenn es nicht anders geht. Die übrige Zeit hütet man seinen Münzschatz wie den Heiligen Gral, denn man weiß ja nie, wo man seine Münzen einmal unbedingt brauchen wird, z.B. im Colectivo.

Buchhandlung "El Ateneo" im ehemaligen Theater "Grand Splendid" in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

So stand ich also im Supermarkt in der Schlange an der Kasse, vor mir nur vier Leute und alle bezahlten bar. Die Frage nach Kleingeld wurde erwartungsgemäß von allen höflich verneint und so blieb der Kassiererin oft nur, das Rückgeld zu ihren Ungunsten aufzurunden. Bei ein paar Cents ist das hier durchaus üblich und wir haben das oft erlebt. Als ich dann dran war, waren die Münzen vollends alle, und so blieb mir nichts weiter übrig als zu warten, bis sich ihr Kleingeldvorrat wieder füllte. Das tat ich dann auch. Die Kassiererin spekulierte darauf, dass schon irgendjemand passend und mit Kleingeld zahlen würde, aber da hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und so wartete ich bald nicht mehr allein auf Wechselgeld. Nachdem wir bereits eine kleinere Gruppe geworden waren, rief sie Ihre Kollegin zur Hilfe und bat sie, Münzgeld zu besorgen. Die Frau machte sich dann auch gleich auf den Weg, wahrscheinlich zur nächsten Bank, und so dauerte es abermals eine Weile, bis ich zu guter Letzt zu meinem Wechselgeld kam.

Treppenaufgang im ehemaligen Theater "Grand Splendid", heute Buchhandlung "El Ateneo" in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

Der schönste Buchladen der Welt

Nachdem wir zu Hause gegessen hatten, sind wir zur Plaza de Mayo, um dort in die Subte Cathedral zu steigen. Wir hatten uns für einen Besuch der Galería Bond Street und des Kulturkaufhaus „El Ateneo“ entschieden. Beide Ziele liegen nah beieinander, entlang der Avenida Santa Fe, und sind einen Besuch wert. Die Subte Linie B würde uns direkt dorthin bringen. In der rappelvollen U-Bahn stapelten sich die Berufspendler, die bereits auf dem Heimweg waren. Es roch nach Schweiß, Parfüm und sonstigen nicht wirklich angenehmen Ausdünstungen. Es gibt wahnsinnig viele Menschen, die zugeknöpft bis zum Hals im Anzug rumrennen. Bei der Hitze etwas seltsam aber die Etiquette fordert ihren Tribut. An der Haltestelle Pueyrredón waren wir heil froh, dass wir wieder aussteigen durften. Eigentlich hatten wir vor, schon zwei Stationen früher auszusteigen, aber der Mief in der Bahn hatte uns scheinbar den Verstand vernebelt. Wieder an der frischen Luft liefen ein paar Straßenblöcke zurück und ließen die geschäftige Avenida an uns vorbei ziehen.

Leseprobe in der Buchhandlung "El Ateneo" im ehemaligen Theater "Grand Splendid" in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

Dann standen wir vor dem „El Ateneo Grand Splendid“. Das prächtige Gebäude wurde 1919 als Theater eröffnet und fungierte eine Weile als Veranstaltungsbühne für diverse Künstler. Hier feierten Tangogrößen wie Carlos Gardel und Ignacio Corsini ihre größten Erfolge. Das Theater ist ein weiterer prunkvoller Zeuge für den Reichtum dieser Stadt. Argentinien zählte zu dieser Zeit zu den sechs reichsten Ländern der Welt. 1929 wurde das Theater zu einem Kino umgebaut, in dem der erste vertonte Film in Argentinien gezeigt wurde. In den späten 1990er Jahren musste auch das Kino schließen. Das Gebäude wurde erneut umgebaut und beherbergt seit 2000 eine Filiale der Buchkette „El Ateneo“.

Bücherregale in der Buchhandlung "El Ateneo" im ehemaligen Theater "Grand Splendid" in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

Die Zahlen sind beeindruckend: Auf nur 2.000 qm gibt es über 120.000 Bücher, davon allein 4.000 fremdsprachige, vor allem in englischer und italienischer Sprache. Jeden Tag kommen 3.000 Besucher in den Buchladen, pro Jahr sind das 700.000 Gäste und potentielle Kunden. Es gibt ein reichhaltiges Kulturprogramm mit fast täglichen Lesungen und Diskussionsrunden. Die meisten Besucher kommen wahrscheinlich wegen dem großartigen Flair des ehemaligen Theatersaals. In den einstigen Avanzen links und rechts der Bühne und in den Logen kann man die Bücher vor dem Kauf schon mal in aller Ruhe Probelesen. Man kann Schüler beobachten, die hier ihre Hausaufgaben machen und die reichhaltige „Bibliothek“ als Recherchequelle nutzen. Die alte Bühne ist heute ein Café. Hier kann man lesen, Kaffee trinken und bei entspannter Live-Musik das schöne Ambiente genießen. Kann man Bücher besser in Szene setzen?

Bühne und Theatersaal im ehemaligen Theater "Grand Splendid", heute Buchhandlung "El Ateneo", in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

Kontrastprogramm Galería Bond Street

Ein auf eine ganz andere Art inspirierender Ort, ganz in der Nähe, ist die Galería Bond Street, der Shopping-Himmel für rebellierende Teens und junge Erwachsene aller Couleur. Hier kriegt man nicht nur schrille und ausgefallene Klamotten und Schuhe, sondern auch allerhand Klimbim, was man als Jugendlicher von heute eben so zum Auflehnen braucht.

Zugetaggte Wand in den Galerías Bond Street in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires, Argentinien

Gefühlte 70% des Gebäudes bestehen allerdings aus Tattoo- und Piercing-Stuben. Die interessante, kleine Veganer-Bar im Untergeschoß, in der ich vor knapp einem Jahr einen Algen-Weizengras-was-weiß-ich-was-noch-Wellness Drink hatte, ist inzwischen verschwunden und durch einen weiteren Tattoo-Schuppen ersetzt worden. Das ganze Gebäude ist über und über mit Graffiti und Tags zugekleistert. Alles wirkt ziemlich lässig und cool. Es war aber leider nicht mehr viel los, da wir kurz vor Ladenschluss erst eintrafen. Nur in den Tattoo-Studios summten die Nadeln auch nach Ladenschluss noch fleißig weiter.

Graffiti in den Galerías Bond Street in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires

Wir aber brachen auf und machten uns auf den Rückweg entlang der Avenida Santa Fe. Auf dem Weg nach San Telmo wollten wir irgendwo noch einen Stopp einlegen, um etwas zu Abend zu essen. In der Calle Esmeralda stolperten wir über ein „All-You-Can-Eat“-Lokal, in dem ich schon mal gegessen hatte. Dort hauten wir uns ordentlich die Bäuche voll und beobachteten die Gäste. Die meisten verfolgten total gebannt und geistesabwesend das Fußballspiel in den aufgehängten TV-Geräten. Brot und Spiele im doppeldeutig-buchstäblichen Sinne…

Graffitis an einer Rolltreppe in der Galería Bond Street in Avenida Santa Fe in Buenos Aires

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Reflektion und Karneval

Wie heißt es so schön: Wer früh aufsteht, muss auch früh zu Bett gehen. Das widerspricht jedoch vollkommen dem Lebensgefühl einer ganzen Stadt. Zudem passte dieses fragwürdige Ziel weder zu unserer Ankunft in der letzten Nacht, noch zu unserer heutigen Tagesplanung. Es war Donnerstag und bereits für die letzten Donnerstage hatten wir uns vorgenommen, auf die Piste zu gehen. Wir wollten den Tag ruhiger angehen lassen und uns dafür lieber nachts verausgaben. Für den Nachmittag stand ein fester Termin auf dem Programm, mit dem ich aber nicht viel zu schaffen hatte.

Restobar "El Hipopotamo" in der Calle Defensa in San Telmo in Buenos Aires Argentinien

Ich ging stattdessen in ein gemütliches Café in San Telmo und ließ mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Für mich sind die Cafés in Buenos Aires was ganz besonderes. Man kann den ganzen Tag mit nur einem einzigen Kaffee in ein und demselben Laden verbringen. Hat man erstmal bestellt, wird man komplett in Ruhe gelassen, ja fast ignoriert. Die Bedienung überlässt es dem Gast, ob und wann er mehr bestellen möchte, und belästigt ihn nur dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Für Europäer mag dies auf den ersten Blick unhöflich erscheinen, aber diese Art der Zurückhaltung ist Teil der argentinischen Lebensart. Es läuft eben alles ein bisschen langsamer, entspannter und unaufdringlicher ab. Mir gefällt dieses Laissez-faire.

San Telmo – Das unliebsame Viertel

Eine ganze Weile später kam ich mit einem anderen Gast ins Gespräch. Nach den typischen Fragen, was man hier so macht und wie es einem so gefällt, kamen wir ziemlich bald auf San Telmo zu sprechen. Er meinte, er sei nicht mehr so oft hier, weil sich San Telmo in seinen Augen sehr verändert hat. Mir war sofort klar, was er damit meinte. Ich wusste bereits vor meinem ersten Besuch in Buenos Aires, dass die allermeisten Porteños diesem Viertel nicht viel abgewinnen können. Man hat sich aber inzwischen arrangiert und lebt ganz gut von und mit den vielen Touristen und Zugezogenen. Ein Viertel im totalen Umbruch!

Avenida San Juan mit Mafalda in San Telmo Buenos Aires, Argentinien

Vor wenigen Jahren war San Telmo so verarmt wie es La Boca heute noch ist. Die Touristen haben dem Viertel dann jedoch einen bescheidenen Aufschwung gebracht. Viele Häuser wurden und werden saniert. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Der Wunsch nach mehr Wohlstand führt teilweise zu bizarren Auswüchsen. So gibt es nicht wenige Familien, die ihre Wohnungen komplett räumen und zu Freunden ziehen, um die Zimmer dann gegen harte Währung zu vermieten. Man kann schon verstehen, dass viele Einheimische dies eher skeptisch beäugen. Vielleicht handelt es sich dabei auch einfach nur um die Angst, von zahlungskräftigen Ausländern aus dem eigenen Stadtviertel vertrieben zu werden. Ich erzählte ihm von der Situation in Berlin-Prenzlauer Berg oder Mitte. Auch dort haben sich innerhalb nur weniger Jahre die Strukturen komplett verändert. Neuberliner und Touristen lieben diese Stadtteile und die übrig gebliebenen Alteingesessenen schauen argwöhnisch zu. Eine Medaille hat eben immer zwei Seiten, das war ihm auch klar. Ich war ihm total dankbar für diese nicht unkritischen Einblicke. Er gab mir noch wertvolle Tipps, was ich mir unbedingt ansehen müsste, und dann war es leider auch schon Zeit sich zu verabschieden.

Crazy Germans

Pünktlich um 17 Uhr trafen wir uns wieder in der Wohnung. Brenda war in ihrem Büro und so nutzten wir gleich die Gelegenheit, uns offiziell zurück zu melden. Die Gute hatte sich schon Sorgen gemacht, aber wir erklärten ihr, dass wir so schnell nicht unter die Räder kämen. Wir berichteten von unseren Abenteuern und sie schmunzelte nur und fand uns crazy. – „Ihr seid von Brasilien nach Argentinien gelaufen?“, „Ihr wolltet nach Ciudad del Este und Ascuncíon?“ Die Argentinier denken über Paraguay genauso klischeebehaftet, wie viele Deutsche über Polen. Ein Land voll von Autodieben und Ganoven. Brenda war ja auch schon im Dreiländereck unterwegs. Sie aber hatte sich dort nur mit dem Taxi fortbewegt. Ob aus reiner Bequemlichkeit, oder weil sie sich so am sichersten fühlte, wurde nicht ganz klar. Wir verstehen auch nicht, wovor die Leute eigentlich Angst haben und ob diese tatsächlich berechtigt ist. Vielleicht basiert diese ganze Furcht ja auch nur auf Halbwahrheiten und Gerüchten. Man sollte sich immer selbst ein Bild machen und so schnell wird man schon nicht umgebracht. Um es noch mal ganz klar zu sagen, es ist absolut kein Problem sich dort aufzuhalten. Naja, Brenda fand ja schon unseren Beschluss, lieber den Reisebus als das Flugzeug nach Iguazú zu nehmen, ungewöhnlich. Wir erklärten ihr, worauf es für uns beim Reisen ankommt. Der Trick ist die Geschwindigkeit. Man muss langsam reisen! Wer schnell reist sieht zwar viel, aber erlebt wenig.

Picada in der Restobar "La Poesia" in San Telmo Buenos Aires, Argentinien

Inzwischen hatte uns der Hunger gepackt und wir sind ganz in der Nähe ins „La Poesia“ gegangen. Wieder eine dieser charmanten Restobars (eine Mischung aus Restaurant und Bar), von denen es so viele in San Telmo gibt. Wir bestellten uns eine Picada und unterhielten uns darüber, was wir heute so erlebt hatten. Nach dem Abendbrot beschlossen wir, noch durch den Park an der Costanera Sur zu laufen. Als wir dort ankamen, war der Park jedoch bereits verschlossen. Hier fällt der Hammer um Punkt 18 Uhr, obwohl es noch Stunden hell sein würde. Das fanden wir alles andere als sinnvoll. Auf den fast schattenlosen Wegen durchs Naturreservat könnte man jetzt viel besser spazieren gehen als in der prallen Sonne. Naja, man muss nicht alles verstehen und so zogen wir einfach weiter entlang der Straße. Irgendwann landeten wir wieder zu Hause.

Break-Dance-Show beim Club 69 im Niceto Club in Palermo in Buenos Aires, Argentinien

Nachtleben

Fit für die Nacht brachen wir gegen zwei Uhr in Richtung Palermo auf. Wir wollten den Niceto-Club ausprobieren. Alles was wir im Netz dazu gefunden haben, klang sehr vielversprechend. Zu unserer Überraschung gab es auch einen Colectivo, der uns ohne Umsteigen genau dorthin fahren würde. Am Paseo Colón mussten wir noch gut 20 Minuten auf den Bus warten. Der füllte sich dann an jeder weiteren Haltstelle mit mehr und mehr Nachtschwärmern und brauste fast so voll wie am Tag durch das nächtliche Buenos Aires. Glücklicherweise haben wir auf Anhieb die richtige Kreuzung zum Aussteigen erwischt. Das erfordert im dunklen Bus schon ein wenig Konzentration vor allem, wenn man die Strecke noch nie gefahren ist. Wir gewöhnen uns aber mehr und mehr an die Colectivos.

Karneval beim Club69 im Niceto Club in Palermo in Buenos Aires, Argentinien

Kurz vor drei Uhr standen wir dann in der Schlange vor dem Nachtclub. Nach nur fünf Minuten waren wir auch schon drin und jeder um 40 Peso leichter. Innen war es brechend voll und wir kamen keinen Augenblick zu früh oder zu spät. Die Party brodelte. Das Niceto ist eigentlich nur die Location. Hier gibt es jeden Tag Partys. Immer von anderen Machern. Heute war Club 69. Das Publikum war bunt gemischt und nicht übertrieben schick. Man hätte diesen Club auch irgendwo in Europa finden können, aber sicher nicht in Berlin. Auffällig war das krasse Branding: Überall prangte Camel-, Sony-, Quilmes-, Philips- und andere Werbung. Zudem stand fast an jeder Wand, das rauchen nicht erlaubt sei. Das kümmerte aber niemanden und so wurde geraucht was die Schachteln her gaben. Wir holten uns ein Bier. Das läuft hier etwas anders als man es gewohnt ist. Zuerst steht man in einer Schlange an der Kasse an, um das Getränk zu bestellen und zu bezahlen. Dann stellt man sich mit dem Kassenbon an der nächsten Schlange an, um sein Getränk letztlich in Empfang zu nehmen. Wir staunten nicht schlecht über die Preise. Eine kleine Büchse Quilmes lag bei 12 Peso. Für argentinische Verhältnisse mächtig teuer. Die anderen Marken Brahma (14 ARS) und Stella Artois (17 ARS) waren auch nicht günstiger.

Karneval im Club69 im Niceto Club in Palermo Buenos Aires, Argentinien

Quilmes kann man allerdings nur trinken, wenn man an einem Rausch interessiert ist oder deutsches Bier nicht kennt. Die anderen Sorten waren auch nicht besser. Das tat der Party aber keinen Abbruch. Das Konzept war wirklich cool. Auf der Bühne gaben ein paar Jungs Break-Dance zum Besten, während unten die Meute zu einer elektronischen aber für mich undefinierbaren Musik tanzte. Eigentlich war die Performance auch kein wirklicher Break-Dance sondern Reggaetón. Jetzt war uns auch schlagartig klar, was wohl die beiden Brasilianer im Hostel in Rosario genau mit Reggaetón meinten. Der passt ganz wunderbar in einen Club. Reggaetón ist ein loser Sammelbegriff, wie bei uns das Wort Techno. Es gibt unglaublich viele Spielarten und Styles, die sich wie Tag und Nacht von einander unterscheiden können. Später zog dann eine bunt verkleidete Gruppe durch den Club bis auf die Bühne. Jetzt war Show-Time. Dafür ist der Club 69 bekannt.

Bühnenshow beim Club69 im Niceto Club in Palermo in Buenos Aires, Argentinien

Partyreihe Club69 im Niceto Club in Palermo in Buenos Aires Argentinien

Die lasziv gekleideten Männer und Frauen führten eine improvisiert wirkende Varieté- und Travestie-Show vor. Ja es ist Karneval, überall, nicht nur in Rio! Auf einmal fielen riesige Luftballons von der Decke. Der Höhepunkt der Show war aber immer noch nicht erreicht. Die Musik hatte sich inzwischen auch verändert und wurde wesentlich elektronischer und progressiver. Sehr ähnlich der Panorama-Bar in Berlin. Ein heftiger Lametta-Regen brachte das Partyvolk erneut zum Johlen und Grölen und bildete gleichzeitig den Abschluss der Bühnenshow. Die Tänzer mischten sich unter die Leute. Eigentlich nicht wirklich unter die Leute, sie tanzten auf mehreren Podesten, die von einer Ecke des Raumes zur anderen geschoben wurden. Wir fanden die Party total geil und würden jederzeit wieder in diesen Club gehen. Clubbing ist sooo international…

GoGo-Tänzer beim Club69 im Niceto Club in Palermo in Buenos Aires in Argentinien

Gegen sieben Uhr, es war noch stockdunkel draußen, sind wir zurück nach San Telmo gefahren. Den Bus für die Gegenrichtung fanden wir auf Anhieb. Der Busfahrer raste in lässiger Manier durch die Straßen von Buenos Aires. Als wir zu Hause waren ging langsam die Sonne auf und wir ins Bett.

Relaxt Busfahren im Colectivo 93 morgens um 6 Uhr in Palermo in Buenos Aires, Argentinien

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Unverhofft kommt oft

Während wir gestern relativ bescheidenes Wetter hatten, strahlte die Sonne heute wieder von einem makellosen Himmel. Im TV wird seit einigen Tagen über die schlimme Dürre berichtet, unter der vor allem die Provinzen Buenos Aires, Sante Fe und Entre Rios leiden. Viele tausend Rinder sind dort bereits verendet, weil es seit Monaten keinen anständigen Regen mehr gab und die Weiden verödet sind. Des einen Freud, des anderen Leid. Ich hoffe, dass einiges vom gestrigen Regen auch in diesen angrenzenden Provinzen runterkam. Vielleicht ist das der Moment über den extrem hohen Fleischkonsum im Land nachzudenken. Braucht man denn wirklich so viele Rinder und müssen Steaks wirklich immer so riesig sein? Laut Süddeutscher Zeitung verzehren die Argentinier pro Jahr und Kopf dreimal soviel Fleisch wie die Deutschen, nämlich satte 154 Pfund. Wie auch immer…

Stadtansicht des argentinischen Rosarios mit Avenida Cordoba vom Monumento a la Bandera

Für uns war es heute an der Zeit zu packen und das Hostel zu räumen. Am späten Abend wollen wir zurück nach Buenos Aires fahren. Das mit dem Zug haben wir uns übrigens aus dem Kopf geschlagen, nachdem wir die Frau im Hostel befragt hatten. Sie meinte zwar, dass es Züge in die Hauptstadt gäbe, diese wären aber völlig unkalkulierbar. Die Fahrtzeiten würden aufgrund des miserablen Streckennetzes total variieren, und wir müssten uns auf Pannen entlang der Strecke einstellen. Eine Dauer zwischen fünf und acht Stunden sei deshalb nichts Ungewöhnliches. Das klang alles nicht sehr erbaulich, und wenn ich an die maroden Schienen denke, die ich bisher so gesehen habe, ist das äußerst plausibel. Dass man nicht viel öfter von Zugunglücken in Argentinien liest, ist eigentlich verwunderlich. Das mag aber zum größten Teil damit zusammenhängen, dass die Züge hier extrem langsam fahren (müssen). Deswegen benutzen wohl die meisten lieber gleich den Bus oder das Auto.

Die argentinische Stadt Rosario mit Río Paraná vom Monumento a la Bandera

So werden wohl auch wir den Bus nehmen, um ins gerade mal etwas mehr als 300 km entfernte Buenos Aires zu kommen. Das ist wesentlich bequemer, und es fahren soviele Busse, dass man nicht vorbuchen muss. Perfekt, dann können wir den ganzen Tag entspannt in Rosario verbringen. Wir ließen erstmal unsere Sachen im Hostel und zogen in Richtung Monumento a la Bandera. Auf dem Turm des Wahrzeichens der Stadt befindet sich eine Aussichtsplattform, von der man einen guten Rundumblick auf Rosario hat. Vorher haben wir dem Flaggenmuseum einen kurzen Besuch abgestattet. Erwartungsgemäß ist das Museum etwas dröge, aber die zahlreichen Wettbewerbsmodelle für den Bau des Denkmals waren ganz interessant. Die tolle Aussicht vom Turm des Denkmals ist den Besuch allemal wert, und so ließen wir uns da oben den Wind um die Ohren pfeifen. Nachdem wir davon genug hatten, sind wir im Stadtzentrum in ein Café gegangen bevor wir letztlich unsere Sachen im Hostel abholten. Die Jungs aus Brasilien hatten noch eine Nachricht für uns hinterlassen. Wir sollen uns auf jeden Fall melden, wenn wir mal in Brasilien unterwegs sind. Das machen wir doch glatt!

Die argentinische Stadt Rosario von oben mit Río Paraná vom Monumento a la Bandera

Balneario La Florída

Wir überlegten, was wir weiter mit diesem jungen Tag anstellen sollten, und fanden, dass wir den Stränden am anderen Ende der Stadt unbedingt einen Besuch abstatten müssten. Auch wenn sie uns bisher von niemandem ernsthaft empfohlen worden sind, muss es doch einen Grund dafür geben, warum diese Strände so beliebt sind. Der Weg dorthin führte uns über das Busterminal. Bei der Gelegenheit haben wir gleich einen Teil unseres Gepäcks dort deponiert. Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass der Bus der schwarzen Linie 102 ganz in die Nähe der „La Florída“-Strände fährt. Und so warteten wir ziemlich lange und hielten Ausschau nach einem Bus mit etwas Schwarzem. Es kamen etliche Busse der Linie 102, aber was war eigentlich genau mit schwarz gemeint? Die Busse waren alles andere als schwarz. Wir waren scheinbar nicht die einzigen, die keinen Durchblick hatten, und wurden sogar von einer Argentinierin angesprochen, ob wir wüssten, welcher Bus denn nun zu den Stränden fährt. Wir wussten auch nur das, was uns erzählt worden war. Irgendwann dämmerte es uns, was genau gemeint war. Aber erst nachdem wir in eine „falsche“ 102 gestiegen sind und den Busfahrer gefragt haben. Auf die Banderole kommt es an, diese muss schwarz auf weiß sein! Dieser kleine aber feine Unterschied war uns bisher nicht aufgefallen. Also wieder raus und weiter warten. Inzwischen sprach uns schon die nächste Argentinierin an. Wie sich rausstellte fuhr die schwarze Linie nicht so häufig wie all die anderen 102er. Als der richtige Bus dann endlich kam, sind wir 25 Minuten mitgefahren und liefen die letzten paar Blocks bis zur Strandpromenade zu Fuß.

Balneario "La Florída" in Rosario Argentinien

Wir hatten uns eigentlich mental auf übervolle Strände a la Rimini eingestellt, aber es war nicht annähernd so schlimm. An den Stränden tummelten sich zwar deutlich mehr Menschen als auf den Inseln im Río Paraná, doch im großen Ganzen war es ziemlich ok. Irgendwie gefielen uns die Strände und das ganze Drumherum aber trotzdem nicht. Es gab auch nirgends ein schattiges Plätzchen. Dafür umso mehr Gastronomie. Toll fanden wir jedoch diese einladenden Parrilla-Imbisse, die sich direkt auf der Promenade aneinander reihten, ähnlich wie an der Costanera Sur in Buenos Aires. Auf der Suche nach einem besseren Strandabschnitt liefen wir noch eine Weile weiter und stießen schließlich auf den eigentlichen Balneario „La Florída“. Dieser ist eingezäunt und ein Eintritt von 5 Peso wird fällig. Das sind also die berühmten „La Florída“-Beaches von Rosario. Wofür diese nun genau berühmt sind, bleibt uns ein Rätsel.

Hitch-hiking auf argentinisch

Die rauchenden Grills hatten uns inzwischen so hungrig gemacht, dass wir ein Steak-Sandwich essen wollten. Wir gingen zu dem Stand, der uns am besten gefiel, und bestellten. Dabei kamen wir mit einheimischen Handwerkern ins Gespräch, die dort saßen. Nach dem typischen Smalltalk versuchten wir rauszufinden, ob es von hier eine Möglichkeit gibt, direkt mit dem Bus zum „La Fluvial“ zu kommen. Wir wollten nämlich, nachdem wir die Strände hier für uninteressant befunden hatten, erneut auf die Insel im Río Paraná. Die Strände dort sind wirklich viel schöner! Mit einem erneuten Umweg über das Busterminal würden wir aber zu viel Zeit verlieren. Leider kannten sie sich mit den Bussen auch nicht genauer aus, aber wir wurden ohne mit der Wimper zu zucken eingeladen, in ihrem Auto mitzufahren. Cool, dachten wir. Die beiden Typen sahen ziemlich vertrauenswürdig aus und wir nahmen ihr Angebot dankend an. Wie herrlich unkompliziert es hier zugeht! Nachdem die beiden gewartet hatten, bis wir fertig mit Essen waren, stiegen wir alle in den kleinen VW-Transporter: Der eine ans Steuer, der andere auf den Beifahrersitz und wir in den vollen Laderaum zwischen die ganzen Werkzeuge und Materialien. In Deutschland wäre diese Art der Personenbeförderung verboten, aber hier interessiert das niemand. Man sieht oft Leute auf Ladeflächen mitfahren. Wir freuten uns über diese zeitsparende Mitfahrgelegenheit und hielten uns gut fest. Direkt vor dem Fährterminal wurden wir abgesetzt.

Kiter und Drachen auf dem Inselstrand im Río Paraná in Rosario Argentinien

Las Islas im Río Paraná mit Kite-Surfern in Rosario, Argentinien

Nun noch schnell ein Ticket für die nächste Fähre kaufen, die zu unserem Glück, bereits in drei Minuten ablegte. So hatten wir uns in kürzester Zeit und auf ziemlich abenteuerliche Weise von einem Ende der Stadt ans andere bewegt. Im Boot wartete dann die nächste Überraschung. Es war voll mit den Leuten, die wir aus dem Hostel kannten. Und so fuhren wir ziemlich multikulturell (mit Briten, Amerikanern, Argentinierinnen und Brasilianern) auf die andere Seite des Río Paraná. Dort angekommen trennten sich unsere Wege wieder, da wir die Insel erkunden wollten. Nach Baden war uns nämlich nicht mehr. Es wehte ein ziemlich starker Wind und dieser trieb einen kloakigen Geruch über die Insel. Vielleicht von einem Klärwerk. Lecker roch es jedenfalls nicht.

Rasenmähen und Strandpflege auf der Insel im Río Paraná in Rosario, Argentinien

So liefen wir die schönen Strände einen nach dem anderen ab und beobachteten eine ganze Weile Kite-Surfer. Die hatten heute ideale Bedingungen für ihren Sport. Dazwischen Leute, die die Strände pflegten und Seegras mähten, mit einem Rasenmäher. Skurril! Wir waren derweil auf der anderen Seite der Insel, der Leeseite, angekommen. Dort war es ziemlich einsam und die wenigen Strände waren verlassen. Wir hatten die Insel fast umrundet, als wir von einem Hund gestoppt wurden. Dieser warnte uns von weitem, ihm lieber nicht zu nahe zu kommen. Vielleicht hätte man es riskieren können, denn Hunde, die bellen, beißen bekanntlich nicht. Wir wollten unser Glück heute aber nicht überstrapazieren. Also ab durch die Mitte, zurück zur anderen Seite. Es war auch nur noch knapp eine Stunde, bis das letzte Boot fahren würde. Am Anleger trafen wir wieder auf unsere Hostelfreunde und die Fähre brachte uns zurück in die Stadt.

Beflaggte Strände auf der Insel im Río Paraná in Rosario, Argentinien

Wir verabschiedeten uns und gingen los, um Besorgungen für die Busfahrt zu machen. Dabei gaben wir auch die erste und einzige Pfandflasche wieder ab, die uns in Argentinien bisher begegnet ist. Als wir sie gestern gekauft hatten, wurden wir extra dreimal darauf hingewiesen, dass die Kassiererin dafür Pfand berechnen müsse: Retorno! 4 Peso auf eine PET-Flasche, also fast ein Euro. Wir nahmen sie trotzdem mit, denn die anderen Flaschen waren nicht gekühlt. Mit einem Pfandsystem rechnet hier doch niemand. Ausgerüstet mit all den Einkäufen begegneten wir abermals den Leuten aus dem Hostel. Die konnten nicht glauben, dass wir uns immer noch in Rosario rumtrieben. Wir verabschiedeten uns noch einmal, diesmal endgültig. Vielleicht würde man sich ja in Buenos Aires wieder sehen. Gegen halb 10 Uhr, später als geplant, waren wir am Busterminal. Wie versprochen, gab es auch zu dieser Zeit noch reichlich Busverbindungen in die Capital Federal. Bereits bei der vierten oder fünften Busgesellschaft, bei der wir nachgefragt hatten, gab es noch frei Plätze für einen Bus, der eine Stunde später abfahren sollte.

Strandidylle auf den Inseln im Río Paraná in Rosario, Argentinien

Coming home…

Nachts, kurz nach halb drei, kamen wir in Retiro an. Gekonnt, wie 2 Porteños, die den ganzen Tag nichts anderes machen, hielten wir den Colectivo der Linie 130 an, der gerade an einer Ampel auf der Avenida del Libertador stand. Glück gehabt, denn genau den brauchten wir! Wir freuten uns auf unsere Wohnung und das Bett. Es fühlte sich an, als würden wir nach Hause kommen…

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Land unter

Die rumpelnde Apparatur an unserem Fenster, die betagte Klimaanlage, hatte unser Zimmer im Laufe der Nacht auf arktische Temperaturen runter gekühlt. Mitten in der Nacht sind wir durch die Kälte wach geworden und mussten uns mit allen Decken, die wir finden konnten, zudecken. Auf die Klimaanlage hatten wir leider keinen Einfluss. Das Monstrum kühlt nämlich gleich das ganze Hostel und unser Zimmer befand sich ausgerechnet am Beginn der Kühlkette. *bibber* Schöne Scheiße, aber mit den ganzen Decken ging es einigermaßen. Zu allem Übel mussten wir am Morgen feststellen, dass es regnete und der Himmel alles andere als blau war. So hatten wir es nicht besonders eilig, aus dem Bett zu kommen. Gegen Mittag hielt uns dann trotz anhaltender Regenschauer nichts mehr im Hostel und wir beschlossen, den Tag für einen Museumsbesuch im MACRO zu nutzen.

Hintereingang vom MACRo mit Graffiti in Rosario Argentinien

Pfützen-Hopping

In einer Regenpause verließen wir das Haus und machten uns auf die Suche nach einem Café. Das ist in Argentinien keine schwere Aufgabe, Cafés gibt es an jeder Ecke. Kaum, dass wir ein gemütliches Straßencafé gefunden hatten, fing es auch wieder an, stärker zu regnen. Geschützt durch eine Markise konnten wir trotzdem unseren Kaffee ungestört im Freien trinken. Kalt war es durch den Regen ja nicht geworden, nur nass. Als es nur noch leicht nieselte, schlichen wir weiter die Straßen entlang in Richtung des bunten Getreide-Silos, in dem sich das MACRO befindet. Wir waren nur ein paar hundert Meter weiter gekommen, als wir an einer sehr einladenden Bäckerei vorbeikamen. Da die Auslage im Schaufenster einen geradezu anlachte, gingen wir hinein und kauften ein paar Facturas, die wir bisher noch nicht kannten. Aufs Neue hinderte uns der Regen am Weitergehen und so aßen wir den größten Teil des süßen Backwerks direkt vor Ort. Um halbwegs trocken im Museum anzukommen, blieb uns wohl nichts anderes übrig, als es in Etappen zu versuchen.

Sintfluartiger Regen durch Fenster eines Cafés am Boulevard Oroño in Rosario, Argentina

Das nächste Stück, das wir schafften, war kaum länger als das letzte und endete erneut in einem Café. Diesmal meine es der Wettergott wohl ernst. Wir hatten eben zwei Café con Leche bestellt und blätterten in der argentinischen Boulevardpresse, als es anfing wie aus Kübeln zu schütten. Wir beobachteten den Wolkenbruch durch die großen Scheiben des Cafés und freuten uns, dass wir es gerade noch rechtzeitig hierher geschafft hatten. Plötzlich fing es an von der Decke zu tropfen, immer mehr Wasser bahnte sich seinen Weg in den Innenraum des Lokals. Der Wintergarten-ähnliche Anbau war alles andere als dicht und so wechselten wir die Plätze. Der Regen war inzwischen so heftige, dass das Wasser mehr und mehr das Café überflutete. Das Personal versuchte nun eilig mit Wasserschiebern und Eimern dagegen anzukämpfen. Vergebens! Das Wasser drückte inzwischen sogar durch die Spalten unter den Glasschiebetüren.

Überflutetes Café am Boulevard Oroño in Rosario, Argentinien

Schlagartig hörte es auf zu schütten. Die Entspannung beim Personal konnte man regelrecht von deren Gesichtern ablesen. Vor der Tür jedoch war nichts mehr wie es vorher war. Der Boulevard Oroño war nur noch zu erahnen und hatte sich in eine Seenlandschaft verwandelt. Wasser soweit das Auge reichte. Das wollten wir uns aus der Nähe ansehen. Mit festem Schuhwerk hätten wir jetzt echt ein Problem gehabt. Gut aber, dass wir mit „hippen“ Gummischlappen unterwegs waren. Nein, nicht diese hässlichen Croqs! Knöcheltief wateten wir im warmen Wasser weiter unserem Ziel entgegen. Die vorbeiziehenden Autos produzierten Mega-Wasserfontänen beim Durchqueren des neu entstandenen Seengebiets. Wir beobachtet ein älteres Ehepaar, wie es vorsichtig aus einem Taxi stieg und in die Fluten entlassen wurde. Was für ein Spektakel. Die Einwohner machten aber alle samt einen ziemlich gelassenen Eindruck und begegneten der Situation wie Profis. Bei uns wäre diese Art Regen wohl ein Katastrophenfall.

Normale Niederschläge in Argentinien - Boulevard Oroño in Rosario unter Wasser

Taxi in die Flut nach einem heftigen Regen in Rosario, Argentinien

Museo de arte contemporáneo de Rosario

Gegen 15 Uhr erreichten wir einigermaßen trocken unser Ziel. Schon von weiten sahen wir die bunten Silos, in denen das MACRO residiert. Das Museum für zeitgenössische Kunst steht direkt am Ufer des Río Paraná. Dummerweise war es noch geschlossen und würde erst gegen 16 Uhr öffnen. So mussten wir die Zeit überbrücken und sind durch einen kleinen Park flussaufwärts gelaufen. Dort begegneten wir Anglern, die im wässrigen Boden nach Regenwürmern fischten, und natürlich – wie könnte es in Rosario anders sein – einer Gruppe von Joggern. Aus mannshohen Abflussrohren strömte das Wasser aus der Kanalisation in den Río Paraná. Eine Unmenge Zivilisationsmüll, die der Regen von den Straßen gewaschen hatte, trieb nun in seinen Fluten und verfing sich in der Uferböschung. Es dauerte nicht lang bis der Weg zu Ende war und wir zurück gingen. Den Rest der Wartezeit haben wir im Restaurant „Davis“ direkt am MACRO verbracht und sehr lecker gegessen.

Bruschetta, Salat und Pommes im Restaurant "Davis" am MACRo in Rosario, Argentinien

Por favor no tocar las obras – Bitte nicht berühren

Das MACRO würde man sicher nicht in einer Reihe mit dem MoMa, dem Tate Modern oder dem Hamburger Bahnhof nennen, aber verstecken braucht es sich deswegen noch lange nicht. Unkonventionell und originell zeigt es auf zehn Stockwerken ein breites Spektrum an Gegenwartskunst. Am besten man fährt mit dem Fahrstuhl ganz nach oben, genießt eine Weile die tolle Aussicht und arbeitet sich dann nach unten durch. Die Ausstellungsräume sind alle nicht sehr groß, sodass ein Rundgang nicht sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Im 7. Stock gab es eine interessante Audioinstallation namens „Nocturno“ von Diana Schufer. Der größte Raum des ganzen Gebäudes war komplett verdunkelt und von der Decke hingen spärlich beleuchtete Lautsprecher aus denen Stimmen zu hören waren. Ein Weg führte ans Ende des Raumes entlang der verstreut angebrachten, kleinen Lautsprecher, aus denen aufgezeichnete Stadtgespräche aus Buenos Aires tönten. Durch die Dunkelheit wurde der Fokus fast vollständig auf das Gehör gelenkt. Die Idee fanden wir beide ziemlich gut, aber leider scheiterten wir an der Installation auf Grund unserer mangelhaften Spanischkenntnisse.

Besucherinnen im Museum für Gegenwartskunst MACRO in Rosario, Argentinien

Besucherinnen betrachten eine Videoinstallation im MACRo in Rosario, Argentina

Zwei Stockwerke tiefer wurde der Ausstellungsraum in eine Camera obscura umfunktioniert. In der Außenwand des selbstverständlich abgedunkelten Raumes befand sich ein winziges Loch. Die gebündelten Lichtstrahlen zeichneten den Río Paraná samt Inseln auf die gegenüberliegende weiße Wand. Die kopfüberstehende Abbildung war quasi eine Live-Sendung des Geschehens auf dem Fluss. Simple und genial! In den folgenden Stockwerken gab es weitere Installationen und die erst seit Banksy anerkannte Gattung der Street-Art zu sehen. Die Werke erinnerten mich sehr an das, was ich in der kleinen Galerie im „Hollywood in Cambodia“ im Stadtteil Palermo in Baires gesehen habe. Das MACRO ist auch ein Ort zum Anfassen und Mitmachen. Es scheint dort öfters lustige Happenings zu geben, bei denen jedermann „Kunst machen“ kann. Die Werke der letzten Aktion, nämlich mit bunter Farbe punkig beschmierte T-Shirts, gab es dann auch gleich im hauseigenen Design-Shop zu kaufen.

Angeln am Ufer des Río Paraná in Rosario, Argentinien

Wer mal eine virtuelle Tour durch die Gegend rund ums MACRO machen will kann hier klicken, dort findet man auch viele weitere 3D Touren durch Rosario.

Runde durch Rosario

Das Wetter hatte sich mittlerweile stabilisiert und dem Regen war für heute endgültig die Puste ausgegangen. Auf dem Rückweg machten wir einen Rundgang durch die Parks flussabwärts. Am Zentralbahnhof „Rosario Central“ dachten wir für einen Augenblick, dass wir den Hauptbahnhof gefunden hätten. Wir spielten nämlich mit dem Gedanken, den Zug zurück nach Buenos Aires zu nehmen. Dieser Irrtum klärte sich aber relativ schnell durch den Graswuchs zwischen den Schienen und die fehlenden Reisenden auf. Die Anlage dient heute als Gemeindehalle für Kunst und Kultur. So zogen wir ohne Zuginformationen weiter zum Parque España. Die Treppen vor der Plaza dienten den zahlreichen Joggern als Kraft- und Konditionsprobe. Durch die unter Wasser stehenden Wiesen liefen wir weiter zu den alten Lagerhallen, in denen sich die „Escuela de artes urbanas“ befindet. Dort konnten wir Artisten beim Kopfstandüben zusehen. Schließlich kamen wir wieder am Monumento a la Bandera an. Das gleichnamige Museum war für heute schon geschlossen, so dass wir langsam zurück zum Hostel gingen. In der Fußgängerzone feierten wir das Ende des Regens mit einer Portion Eis und besuchten ein wunderschönes, altes Kaufhaus aus dem 19. Jahrhundert, das derzeit zur chilenischen Kaufhauskette „Falabella“ gehört. Der Innenraum des Kaufhauses sah aus, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Galería Falabella in der Fussgängerzone Avenida Cordoba in Rosario, Argentinien

Decke der Galería Falabella in der Fussgangerzone Avenida Cordoba in Rosario, Argentinien

Nach Mitternacht machten wir uns erneut auf die Pirsch durch die Stadt. Wir wollten uns mal das Nachleben anschauen. Im Hostel hatten sie uns dafür die Avenida Pellegrini empfohlen. Wenn was geht, dann da. Dienstag ist aber nicht der beste Tag, um auszugehen. Außerdem sind Semesterferien und den meisten Rosarinos wird es heute zu frisch draußen sein. So liefen wir durch ein fast ausgestorbenes Rosario bis wir endlich die Straße erreichten. Da war auch tatsächlich noch was los. Links und rechts der großen Straße waren etliche Bars und Restaurants geöffnet. Voll war es aber nirgend so richtig, außer in den ungefähr 1000 Eisdielen. Die sind echt toll, aber nicht das, was wir uns unter Nachtleben vorgestellt hatten. Auf dem Rückweg sind wir nochmal am Denkmal der Staatsflagge vorbei und haben ein paar Nachtaufnahmen gemacht. Nachts wird das Wahrzeichen in den argentinischen Nationalfarben weiß und blau angestrahlt.

Nacht über dem Propileo des Monumento a la Bandera in Rosario in Argentinien

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Die Stadt der Jogger

Der Bus schwankte und schaukelte sich mit mächtig viel Schwung durch die noch junge Nacht. Ich versuchte zu schlafen, aber es gelang mir nicht. Mir erschien es, als würde der Bus wie ein Pferd von Bodenwelle zu Bodenwelle springen. Das Schütteln war zeitweise so heftig, dass man den Halt verlor und kurze Momente in Schwerelosigkeit erlebte. Jeder Straßenkrater riss einen erneut aus dem Schlaf und so war der Weg ins Land der Träume noch holpriger als die Straße. Irgendwann berührte mich etwas am Oberarm. Schlaftrunken ignorierte ich das Zeichen. Wieder berührte mich etwas, diesmal mit mehr Nachdruck. Das kann ich unmöglich träumen. Ich klappte die Schlafmaske hoch und sah einen Argentinier, der höflich um seinen Platz bat. Der Bus war inzwischen bis zum letzten Platz gefüllt und ich musste auf meinen Sitz zurück. Wir hatten uns auf mehreren Plätzen breit gemacht und so musste ich zusätzlich noch ein paar Sachen von den benachbarten Sitzen zusammenkramen. Rasch schlief ich aber wieder ein. Plötzlich knallte etwas zu Boden und riss mich erneut, trotz gut verplombter Ohren, aus dem Schlaf. Im Bus war es stockdunkel und nur die Schattenrisse der Passagiere waren zu erkennen. Ich sah wie ein Mann einen schwarzen Gegenstand vom Boden aufhob. Instinktiv griff ich in meine Hosentasche, um zu prüfen, ob mir die Kamera rausgefallen war. Noch bevor ich mich davon überzeugt hatte, dass alles an seinem Platz war, hatte der Mann den Besitzer des Objekts schon ausfindig gemacht und aufgeweckt. So erhielt dieser sein Handy zurück und wir konnten alle wieder schlafen. Gut dachte ich mir, hier kommt nichts weg…

Strasenkreuzung an der Calle San Lorenzo in Rosario im Stadtteil Centro

Quirliges Rosario

Gegen 9 Uhr morgens erwachte ich erstaunlicherweise gut erholt. Der Bus war inzwischen wieder leer und ich fragte mich, ob ich die Geschehnisse der letzten Nacht nur geträumt hatte. Wir waren bereits im äußeren Bereich des Ballungsraums Rosario. Der Verkehr war wesentlich dichter und die Bebauung links und rechts der Straße wurde mit jedem Kilometer urbaner. Dann ging alles recht schnell und pünktlich um 10 Uhr standen wir schließlich auf dem Terminal de Omnibusses in Rosario. Obwohl es bis zum Hostel noch recht weit sein würde, entschieden wir uns zu Fuß zu gehen. Dies war die beste Möglichkeit einen ersten Eindruck von der Stadt zu bekommen. Irgendwie hatte ich mir Rosario wesentlich kleiner und provinzieller vorgestellt. Aber auf den Straßen ging es ähnlich zu wie in Buenos Aires. Mit einer Million Einwohnern ist Rosario auch nicht grade klein. Die Quirligkeit hat mich trotzdem überrascht. Nach einigen Blocks entlang der Avenida Santa Fe kamen wir an der Medizinischen Fakultät der Universität Rosario vorbei. Viel war dort allerdings nicht los, denn momentan sind Semesterferien. Die umliegenden Seitenstraßen machen einen gemütlichen Eindruck und sind voll von kleinen Cafés, Copy-Shops und sonstigen Läden, die Studenten so brauchen. Noch ein paar Blocks weiter und wir ließen uns in einem der Straßencafés nieder und bestellten, oh Wunder, ein typisch argentinisches Frühstück: Cafe con Leche und Medialunas. Das alles sollte zusammen dann auch nur 8 Peso kosten und markierte damit das günstigste Frühstück, das wir in Argentinien bisher hatten.

Alte Häuser in der Calle San Lorenzo in Rosario im Stadtzentrum

Gegen halb 12 Uhr kamen wir im Hostel, „La Casona de Don Jaime 2“, an und haben eingecheckt. Die Unterkunft hatten wir tags zuvor im Internet reserviert. Da unser Zimmer gerade noch geputzt wurde, versorgte uns die junge Frau vom Counter in der Zwischenzeit mit nützlichen Informationen über die Stadt. Etwas ungewöhnlich war, dass wir hier das Zimmer bereits im Vorraus bezahlen mussten, natürlich bar. Naja, nachdem wir das alles geklärt hatten, sind wir gleich mit Badesachen zum Fährableger, „La Fluvial„, gelaufen. Durch die schöne Altstadt von Rosario kamen wir direkt zum Monumento Nacional a la Bandera. Das erst 1957 erbaute Denkmal zur Ehrung der argentinischen Staatsflagge steht unweit der Küstenlinie des Flusses Paraná. Am Fluvial haben wir uns Tickets für die Überfahrt zu den Inseln gekauft. Dort soll es die schöneren Strände von Rosario geben. Von den wesentlich populäreren „La Florída“-Stränden hatte uns die Perle vom Hostel eher abgeraten.

Denkmal für die Nationalflagge Argentiniens in Rosario

Vom Fluvial fahren vier verschiedene Fährschiffe zu vier verschiedenen Inselstränden. Jedes hat seinen eigenen Anleger, die „Muelle“, und bringt einen an einen anderen Strand. Der Río Paraná ist ein ziemlich mächtiger Fluss. Die Inseln lagen ganz schön weit weg vom Ufer und dahinter geht der Strom ja noch weiter. Wo die Strände genau liegen, zu denen die verschiedenen Boote fahren, war uns völlig unklar. Also nahmen wir einfach das nächstbeste Boot, das kam. Später haben wir uns darüber gewundert, was für ein Aufriss um die verschiedenen Fährlinien gemacht wird. Es ist nämlich ganz egal ist, welches Boot man nimmt, da die Strände direkt nebeneinander liegen.

Balneario Waikiki auf der Insel im Río Parana vor Rosario in Argentinien

Auf der Insel erwarteten uns dann tatsächlich sehr schöne Sandstrände, die alle samt nicht besonders voll waren. Wir fanden einen schattenspenden Baum, unter dem wir es uns gemütlich machen konnten ohne der prallen Sonne ausgeliefert zu sein, in der sich die Einheimischen aalten. Der Wind trug mal mehr, mal weniger die Musik vom Nachbarstrand zu uns herüber und wir konnten kaum glauben, was da gespielt wurde. Die Musik der Münchner Freiheit sei Beispiel genug, um unser Erstaunen auszudrücken. Wir lasen gemeinsam in dem Buch WIR von Jewgeni Samjatin. Danach haben wir das Baden im Río Paraná ausprobiert. Einen richtig sauberen Eindruck macht er ja nicht, der Paraná. Das braune Sediment störte uns dabei weniger, als das Wissen darum, was so alles in diesen Fluss eingeleitet wird. Soweit oberhalb vom Delta bei Tigre sollte es aber gehen, mit dem Baden. Der Untergrund ist sandig und irgendwie rutschig, fast glitschig. Das Ufer ist sehr flach und auch hier galt, wer richtig nass werden will, muss sich hinlegen. Viele der Einheimischen sind gleich mit Klappstuhl angereist und sitzen stundenlang samt Stuhl im wannenwarmen Wasser. Dazwischen ankern kleine Motorboote. Eine ziemliche Idylle und das Baden ist auch ganz ok.

Fußball spielen am Balneario Waikiki auf der Insel im Río Paraná vor Rosario in Argentinien

Abends hatten wir in einem der Strandrestaurants, einem Parador, eine kleine Picada, da uns der Hunger gepackt hatte. Gesättigt machten wir uns auf den Weg zum Anleger. Um acht fuhren wir mit dem letzten, erwartungsgemäß vollbesetzten Boot zurück in die Stadt. In der Mitte des Bootes stapelten sich die mitgebrachten Sonnenstühle der Rosarinos. Ein herrlich skurriles Bild.

Volkssport Jogging

Zurück an Land machten wir uns auf den Weg zum Hostel, diesmal entlang der Küstenstraße, der Rambla Catalunya. Entweder waren wir zur falschen Zeit hier, oder das ist einfach nicht der Ort, um abends spazieren zu gehen. Es kam uns vor, als wären wir mitten in eine Art Volkslauf oder Marathon geraten. Ständig kamen aus allen Richtungen Horden von Joggern auf uns zu gerannt. Auf den Wiesen seitlich der Rambla gab es sogar noch mehr davon. In Gruppen oder einzeln machten die Läufer hier Dehnübungen oder waren anderweitig aktiv. Rosario ist die Stadt der Jogger. Eine Prise Lifestyle darf dabei natürlich auch nicht fehlen.

Ein Boot ankert auf der Insel im Río Paraná vor Rosario in Argentinien

Für das Abendessen hatten wir uns Zutaten für einen Salat besorgt, den wir in der Hostelküche zubereiteten. Dort war ordentlich Betrieb und es war außerdem viel zu warm und zu laut zum Essen, darum haben wir uns in den Innenhof zurückgezogen, wo außer uns nur noch zwei Kanadierinnen aus Vancouver saßen. Die beiden waren frisch aus Uruguay angekommen und standen erst am Beginn ihre Südamerikareise. Sie erzählten von ihren Plänen und wir hatten nicht den Eindruck, dass sie zu der Gruppe der „Destination-Hopper“ gehören, die in kürzester Zeit soviele Reiseziele wie möglich abhaken wollen. Da sich die eine etwas kränklich fühlte, zogen sie sich bald zurück und machten zwei Brasilianern Platz.

Reggaetón Argentino

Auch mit den beiden, Erick und André, kamen wir sofort ins Gespräch. Nach dem üblichen Smalltalk erzählten sie uns ein bisschen mehr über ihr Land und machten uns sehr neugierig auf Brasilien. Von Deutschland hatten sie bisher nur kitschige Stereotype im Kopf: Gutes Bier, in tausend Sorten, blonde Frauen, schnelle Autos und schlechtes Wetter. Und nein, in Deutschland trinkt man das Bier nicht lauwarm. Letzte Nacht waren die Jungs mit einer argentinischen Bekannten in einen Club in Rosario unterwegs. Sie waren total begeistert vom Reggaetón, der dort gespielt wurde und in Argentinien total angesagt ist. Wie mischt man denn Reggae, Merengue, Hip-Hop und Dancehall so zusammen, dass man dazu in einem Club tanzen kann? Klang echt spannend, was sie berichteten. Erick und André klärten uns außerdem über die deutlichen Unterscheide der Musikszenen beider Nachbarländer auf. Während die Musik in Brasilien viel internationaler ausgerichtet ist, hört man in Argentinien fast ausschließlich Einheimisches oder andere spanischsprachige Künstler. Wir erfuhren noch eine ganze Menge über die brasilianische Art zu leben und haben uns einige Zeit später verabschiedet. Der Abend mit den beiden hat uns viel Spaß gemacht.

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